Einmal die Nachos als Kombi-Spezial, bitte!
Jack White spielt in Berlin und die Smartphones sind verstaut. Die sind an diesem Abend auch gar nicht das Problem – sondern seine Musik und der skurrile Veranstaltungsort.
Es gibt viele Möglichkeiten, einen Freitagabend in Berlin zu verbringen. Eine der gewagteren Optionen ist sicherlich der Besuch einer ehemaligen Brache an der Warschauer Straße, zwischen Spree und S-Bahn, direkt neben der East Side Gallery. Dort wird dieser Tage ein weiteres Stück neues Berlin fertiggestellt: Neben architektonisch fragwürdigen Bürogebäuden, der Mercedes-Benz-Arena und einer Shoppingmall soll der Mercedes Platz die Gegend laut Marketingleersprech „vitalisieren“. Hier gibt es alles, was einer einseitigen Vorstellung von Vitalisierung entspricht und was diese Stadt nicht braucht: „Rooftop Bars“, Bowlingbahn, Luxuskino und aalglatt-gesichtslose Restaurants.
Beim interesselosen Flanieren, das in dieser Umgebung angenehm leicht fällt, bleibt der Blick nicht gerade hängen an der „Verti Music Hall“. Sie feiert heute ihren Einstand. Zwar soll die neue Eventlocation laut Website des Namensgebers für „pure Lebensfreude“ stehen, doch erinnert sie eher an eine imposante Donutfabrik. Die verworrene Schlange kringelt sich kurz vor offiziellem Beginn über den Mercedes Platz, der auf acht kleinen und zwei großen Leinwänden unter anderem für die Chippendales wirbt. Brav tüten die Besucher ihre Smartphones in Yondr-Beutel, die magnetisch verschlossen werden, um das Konzert zu einem „100 Prozent menschlichen Erlebnis“ zu machen, wie Jack White vor der Tour verkündete. Im Vorraum harrt ein Smart der Dinge, von denen wohl nur er weiß.
Schwarze Industrielampen und unverputzter Beton sollen zeitgeistige Spontanität bezeugen, dabei sind sie so ausgeklügelt wie das Kombi-Spezial, mit dem man seine Snacks (Popcorn, Brezn oder Nachos) aufwerten kann. Mit einem Getränk oder was auch immer – vielleicht einem Plektrum oder einem Einwegfeuerzeug vom Merchandise-Stand. Wahrscheinlich nicht, aber das wäre mal eine Innovation. Diese gab es dann auf der Bühne tatsächlich, aber vielleicht ist gerade das nicht Jack Whites Steckenpferd. Denn statt sich etwas von der reduziert-rauen und kindlichen Kraft der White Stripes zu bewahren, verfällt White in den Gestus eines Großmeisters, der mithilfe zweier Synthesizerspieler jede Idee solange mit Versatzstücken anderer Stile zukleistert, bis ein Maximum an Beliebigkeit erreicht ist.
Diverse Samples und E-Drums sollen wohl Horizonte öffnen, aber sie werden so richtungslos eingesetzt, dass es bestenfalls anbiedernd wirkt. Auch einige alten Schätze finden ihren Weg durch den Wolf: So wird nicht nur „Hotel Yorba“ derart von einem Barpiano zugeklimpert, dass es zu einer schmierigen Countrynummer verkommt.
Natürlich ist kaum jemand wegen seines aktuellen Albums hier, die Euphorie trotz Freizeit vom Smartphone eher gedämpft – so richtig Spaß scheinen jedenfalls nur eingefleischte Fans und solche die es unbedingt werden wollen zu haben. Für „The Hardest Button to Button“ setzt sich Jack White an ein zweites Drumset. Das unnachgiebige Poltern und Stottern der Trommeln erinnert für einen Moment an die Dringlichkeit der White Stripes. Doch kaum setzen die beiden Synthesizer ein, kehren die Fragezeichen zurück.
Kaum verlässt man den Konzertsaal für ein kurzes Durchatmen, präsentieren einige große Bildschirme im Vorraumpassende Hashtags zur Veranstaltung, etwa #berlinstagram. Das ist natürlich unfreiwillig komisch bei einem smartphonebefreiten Konzert. Doch die Yondr-Beutel können beim Heraustreten auf den Balkon mit einem großen Magneten der freundlichen Servicekräfte entsichert werden. Und das ist natürlich ziemlich praktisch, denn dann kann man wie bei anderen Konzerten auch rauchen und zugleich ins Handy schauen. Überraschenderweise bleiben die Magneten bis zum Ende der Veranstaltung ungenutzt – sollte es wirklich so einfach sein, mit einigen Beuteln und etwas medialem Bohei dem digitalen Freund und Helfer Einhalt zu gebieten? Dann könnte man auch einfach ab jetzt auf alle Konzerttickets wie heute „phone free show“ drucken, und das Problem wäre gelöst.
Mit dem letzten Song „Seven Nation Army“ löst sich dann ein weiteres Problem. Doch kaum wähnt man sich in Freiheit, üben Wasserfontänen und Lichtshow schon mal für ihren großen Auftritt auf dem „Nachbarschaftsfest“, das keine Nachbarn sondern nur verwirrte Konsumenten sehen wird. Auf der Website des Mercedes Platzes strahlt eine Frau im Konfettiregen dem User entgegen, der Claim verspricht: „It’s always Friday“. Bitte nicht.
Süddeutsche.de, 13. Oktober 2018, Fassung des Autors