Bio

Volker Bernhard lebt als Autor und Medientheoretiker in Berlin. Arbeiten zu Wohnen, Digitalisierung und Gesellschaft, Ökosophie, immersiven Ausstellungspraktiken. Seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar. 2024 Research Affiliate am Remarque Institute der New York University. Studium der Sozial- und Medienwissenschaften an der Freien Universität Berlin und der Bauhaus-Universität Weimar. Seine Texte erscheinen u.a. in Süddeutsche Zeitung und taz.

Die Dissertation Nach Haus. Eine Theorie des Wohnens bündelt Perspektiven aus Architektur, Medien, Geschichte, Philosophie und Soziologie, um eine Medientheorie des westlichen Wohnens zu entwickeln. Angesichts gegenwärtiger Probleme wie der zusehends prekärer werdenden Bewohnbarkeit der Erde, der semiokapitalistischen Verwertung jedes Lebensmoments, dem Rückzug ins Private und der Verarmung des öffentlichen Raums argumentiert die Arbeit für eine grundlegende Revision hegemonialer Vorstellungen vom Wohnen.

Nach Haus zeigt im Sinne einer kritischen Theorie des Wohnens, inwiefern sich das bürgerliche Wohnen im Laufe des 19. Jahrhunderts konstituiert und uns bis in die digitale Gegenwart verfolgt. Damals macht eine beschleunigte und leicht überfordernde Moderne den Wohnraum als abgeschlossenen Rückzugsort notwendig und erzeugt zugleich neue, bis heute aktuelle Problemlagen – etwa die idealtypische Trennung von trautem Heim und einem Außen, in dem sich all die gesellschaftlichen, technischen und ökologischen Zumutungen tummeln.

Die Arbeit beschreibt erstmals die gesellschaftlich grundierte, wechselseitige Hervorbringung von häuslicher Welt und Bewohner:innen als entscheidenden Faktor von Subjektivierungsprozessen. Dabei entpuppt sich der private Rückzugsraum als gerade kein rein privater Ort, an dem man ‚bei sich‘ weilt. Menschen bringen durch ihr Wohnen überhaupt erst ihr ‘Selbst‘ hervor, und das durchaus in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Imperativen, technischen Apparaten, Interieurs und urbanen Infrastrukturen. Lange vor Sprachassistenten, Trackern und dem SmartHome beschreibt Walter Benjamin hellsichtig die überaus aktive, verführende häusliche Welt: „[D]as ‚Intérieur‘ [nötigt] den Bewohner, das Höchstmaß von Gewohnheiten anzunehmen, Gewohnheiten, die mehr dem Intérieur, in welchem er lebt, als ihm selber gerecht werden.“

Die Arbeit fokussiert das zentrale Paradox des Wohnens: Der Wunsch „nach Haus“ zu gehen und der Überforderung zu entkommen ist nicht nur bei Kindern nach einem langen Tag allzu verständlich, weit verbreitet und romantisch aufgeladen. Doch zugleich beruht diese beruhigende, häusliche Welt auf technischen und urbanen Infrastrukturen, ist von diesen nahezu vollkommen abhängig. Insofern gilt es hinsichtlich oben genannter, gegenwärtiger Problemlagen ein Wohnparadigma zu suchen, dass nach dem Wohnen im Haus kommt, dass die ökologisch-technische wie gesellschaftliche Durchdringung des Privaten und der Subjektivierungsprozesse anerkennt, ohne das Bedürfnis nach Schutz zu negieren. Ein solch neues Wohnparadigma zielt nicht darauf ab, das Wohnen in Häusern grundsätzlich zu kritisieren, sondern die gesellschaftliche und ökologische Bedingtheit des Wohnens aufzuzeigen. Wie wird gewohnt, und wie prägen wir dadurch uns selbst und unsere Gesellschaften?

Nach Haus entwickelt entgegengesetzt zu Martin Heideggers berühmter Ontologisierung des Wohnens einen alternativen Kanon, der zugleich die bis dato unbemerkte, bedeutende Rolle des Wohnens im Schaffen einiger Klassiker der Kultur- und Medientheorie aufzeigt: Walter Benjamin, Félix Guattari, Paul Klee, Vilém Flusser, Michel Foucault und ein von ihm betreutes, bisher völlig unbeachtetes Forschungsprojekt zum Wohnen. Ein zentrales Kapitel widmet sich der „Hausfrauisierung“ (Maria Mies), um die Effekte der Wohnung exemplarisch an Genderfragen aufzuzeigen. Die Arbeit stützt sich auch auf literarische Quellen wie Leonora Carrington und Franz Kafka, Filme von Chantal Akerman und Agnès Varda sowie Kunstwerke von Dorothea Tanning, Francis Bacon und Max Ernst.


Herausgaben
(Hg.) Félix Guattari, Die subjektive Stadt. Schriften zu Architektur und Urbanismus, übers. von Reiner Ansén, Christian Driesen, Hermann Kocyba, Henning Schmidgen und Ronald Voullié, transversal texts (mit Henning Schmidgen, erscheint 2025).


Aufsätze
„Was sind Wohnmaschinen?“, in: Christina Bartz, Jakob Cyrkel, Felix Hüttemann, Monique Miggelbrink (Hg.), ComputerWohnen. Zur Geschichte des Computers in Wohnumgebungen zwischen Arbeit und Assistenz, Transcript, Bielefeld (erscheint 2025).

„Territorium und Existenz“ (Nachwort), in: Félix Guattari, Die subjektive Stadt. Schriften zu Architektur und Urbanismus, übers. von Reiner Ansén, Christian Driesen, Hermann Kocyba, Henning Schmidgen und Ronald Voullié, transversal texts (erscheint 2025).

„Die Therapie des Internets: Kulturelle Experimente und Ökosophie“ (mit Maxim Keller), in: Jahrbuch für Kulturpolitik 2023/2024, Transcript, Bielefeld (erscheint 2024).

„Ökosophisch Wohnen“, in: Doing Digital Utopia: Glossar für zukunftsfähige Digitalität (digital first, erscheint im gleichnamigen Sammelband 2025).

„Von der Ordnung aus dem Chaos und ihrer Gewalt“, in: Eject. Zeitschrift für Medienkultur, Nummer 5: Rauschen, Lucia Verlag, Weimar 2015.

Essays & Verstreutes (Auswahl)
„Wohnen für Amazon“ [über Wohnungen als technische Umwelten], mit Gemina Picht, in: taz.Futurzwei, Nr. 25, Berlin 2023.

„Unvorstellbar sinnstiftend“ [zu Mark Zuckerbergs Metaverse], mit Maxim Keller, in: taz.Futurzwei, Nr. 21, Berlin 2022.

„Wellenreiten im Nirgendwo“ [zur Pop-Ästhetik der Gegenwart am Beispiel Vaporwave], in: Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 14. Juli 2020.

„Haltet die Welt an, ich will aussteigen“ [für eine Konsumentenethik des Digitalen], in: Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, 22. Februar 2018.

„Experimente bestehen nicht darin, einfach irgendetwas auszuprobieren“ [Interview mit Henning Schmidgen], in: Eject. Zeitschrift für Medienkultur, Heft 6, Weimar 2016, S. 76–95.

Vorträge
„Animistic Interiors. The Unconscious of Dwelling in Walter Benjamin and Félix Guattari“, Deleuze and Guattari Studies Conference, TU Delft, 8.–10. Juli 2024

„Beredte Tische und swingende Teppiche: Immersiver Wissenszugang am Beispiel des Gropiuszimmers“, Assistenten, Avatare, Atmosphären. Perspektiven des Animismus in Medienwissenschaft und Medienkunst, transdisziplinäre Konferenz an der Bauhaus-Universität Weimar, 24.–26. Januar 2024.

„Ecosophy and Dwelling Machines“,
Deleuze and Guattari Studies Conference, University of Belgrade, 10.–12. Juli 2023.

„So lang war nun mal das Kabel.
Agnes Vardas Daguerréotypes“Filmreihe Wohnen, Kooperation von Klassik Stiftung Weimar & Bauhaus-Universität Weimar, Lichthaus Kino (Weimar), 18. Juni 2023.

„Was ist eine Wohnmaschine?“,
Tagung ComputerWohnen. Umgebungen zwischen Arbeit, Assistenz und Komfort, Universität Paderborn, 20./21. April 2023.

„What Is Ecosophical Dwelling?“,
Rencontre Guattari+30, Université de Paris 8, 20.–22. Oktober 2022.

„Experiment und Instrument. Wege der Kybernetik“,
im Rahmen der Ausstellung Transitions, ACUD (Berlin), 27. August 2015.


Lehre
WS 2023/24: Architektur und Animismus bei Walter Benjamin (Seminar, MA Medienwissenschaft)

SS 2023: Was ist eine Wohnmaschine? (Seminar, BA Medienkultur)

WS 2022/23: Wohnfragen (Seminar, BA Medienkultur)

WS 2022/23: Die subjektive Stadt (Seminar, BA Medienkultur, mit Henning Schmidgen)

WS 2022/23: Territorium und Existenz (Plenum, BA Medienkultur, mit Henning Schmidgen & Felix Brieden)

WS 2021/22: Einführung in die Kritische Theorie (Seminar, MA Medienwissenschaft)

Kritiken (Auswahl)
„Väterchen Pop kennt kein Erbarmen“, in: Süddeutsche Zeitung, Freitag, 23. März 2018 [Kritik zu: Mark Fisher, Das Seltsame und das Gespenstische, Berlin: Edition Tiamat, 2017].

„Wozu Erfahrung?“, in: Die Zeit, 37/ 2017 [Kritik zu: Kenneth Goldsmith, Uncreative Writing. Sprachmanagement im digitalen Zeitalter, Berlin: Matthes & Seitz, 2017].

„Die Vermessung des Wir“, in: Die Zeit, 30/2017 [Kritik zu: Steffen Mau, Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen, Berlin: Suhrkamp, 2017].


Übersetzungen
Philip Roth, „Froh, dass ich noch lebe“ [Interview von Charles McGrath für die New York Times], Süddeutsche Zeitung vom 22.1.2018.

Evgeny Morozov, „Gemeinschaft ist auch nur eine Dienstleistung“, Süddeutsche Zeitung vom 18.12.2017.


Interdisziplinäres
Irene López García, Ephraim Schott, Marcel Gohsen, Volker Bernhard, Benno Stein, and Bernd Froehlich. Speaking with Objects: Conversational Agents‘ Embodiment in Virtual Museums. In IEEE International Symposium on Mixed and Augmented Reality (ISMAR 2024)

Johannes Kiesel, Volker Bernhard, Marcel Gohsen, Josef Roth, and Benno Stein. What is That? Crowdsourcing Questions to a Virtual Exhibition. In David Elsweiler, editors, 2022 Conference on Human Information Interaction & Retrieval (CHIIR 2022), pages 358-362, March 2022.